Wo Staatsanwalt drauf steht, muss auch Staatsanwalt drin sein!

Die Ermittlungsbehörden reagieren immer wieder empört, wenn Zeugen „einfach“ nicht der polizeilichen Ladung zur Zeugenvernehmung folge leisten. Schnell ist vom mangelnden Respekt vor den Polizeibeamten die Rede. Nach dem derzeitig noch geltender Gesetzeslage, ist es aber das gute Recht eines Zeugen, bei der Polizei nicht auszusagen oder erst gar nicht zu erscheinen.

Aber es gibt ja eine einfache Lösung: Nach § 161a Abs. 1 S. 1 StPO muss der Zeuge auf eine staatsanwaltliche Ladung erscheinen und zur Sache aussagen. Also kurzerhand auf Knopfdruck eine staatsanwaltliche Ladung an den Zeugen schicken und die Vernehmung gegebenenfalls mittels polizeilichen Zwang durchsetzen.

Nicht selten erfolgt die Ladung schon an die Adresse der Polizei oder des Zolls. Mit großen Augen sucht man dann am Großen Tag den Staatsanwalt. Dieser scheint jedoch aus Sicht der Ermittlungsbehörden entbehrlich.

Anders aber die Rechtsprechung. Das OLG Hamburg1 führt als amtlichen Leitsatz aus:

Eine staatsanwaltschaftliche Zeugenvernehmung im Sinne des § 161a StPO setzt voraus, dass ein Staatsanwalt die Vernehmung leitet und das Vernehmungsgespräch im Wesentlichen selbst führt. Eine – über den Staatsanwalt unterstützende Befragung hinausgehende – Zeugenvernehmung durch einen Polizeibeamten in Gegenwart des Staatsanwalts beinhaltet keine zur Sachaussage verpflichtende und bei grundloser Aussageverweigerung ordnungsmittelbewehrte staatsanwaltschaftliche Zeugenvernehmung.

So auch in der Literatur2.

Alt, aber nach wie vor unbekannt und aktuell.

Gerade hatte ich einen besonderen Fall des Ettikettenschwindels erleben dürfen, oder besser müssen.

Ein angeblicher Mittäter meines Mandanten sollte nach Einstellung seines Verfahrens als Belastungszeuge gehört werden, er hatte anderes vor. Dann halt die staatsanwaltliche Vernehmung.

Der Zeuge wurde in Berlin von der Polizei abgeholt und nach Bayern verbracht; allein, der Staatsanwalt war „leider verhindert“.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Aus der Entscheidung des OLG Hamburg:

b)
Dem gesetzlichen Bild des § 161 a Abs1, Abs. 2 StPO entsprach eine solche Vorgehensweise nicht. Bereits die Gesetzesmaterialien verdeutlichen dies unmissverständlich.

[24] In dem Regierungsentwurf zum Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. Dezember 1974 (1. StVRG), durch welches § 161a StPO neu in die StpO eingefügt wurde, heißt es dazu:

„Der neue § 161 a enthält den praktisch bedeutsamsten Teil der vom Entwurf vorgeschlagenen Maßnahmen zur Konzentration des Ermittlungsverfahrens in der Hand der Staatsanwaltschaft … In vielen Fällen wird aber auch die Vernehmung durch den für das Ermittlungsverfahren insgesamt verantwortlichen und über das bisherige Ermittlungsergebnis genau unterrichteten Staatsanwalts sachkundiger durchgeführt werden als durch den lediglich zu einer einzelnen Vernehmung in das Vorverfahren eingeschalteten Ermittlungsrichter“ (Bundestagsdrucksache 7/551, S. 72).

[25] In dem Bericht und Antrag des Rechtsausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts wird ausgeführt:

„Das Ermittlungsverfahren ist Sache des Staatsanwalts. Seine Aufgabe ist die Erforschung des Sachverhalts. Der Staatsanwalt hat zu ermitteln, wozu bereits nach geltendem Recht die Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten gehört“ (Bundestagsdrucksache 7/2600, S. 13).

[26] Nach der aus den Materialien ersichtlichen Konzeption des Gesetzgebers sollte mithin die Stellung der Staatsanwaltschaft sogar gegenüber dem Ermittlungsrichter (§ 162 StPO) gerade gestärkt und die Staatsanwaltschaft noch stärker in das Zentrum des Ermittlungsverfahrens gerückt werden; unter dieser Zielvorstellung sollten insbesondere Zeugenvernehmungen vermehrt konzentriert in die Hand der Staatsanwaltschaft gelegt werden. Eine solche Verlagerung von Tätigkeiten des Ermittlungsrichters auf die Staatsanwaltschaft hatte selbstredend nicht den Sinn, die von dem Ermittlungsrichter auf den Staatsanwalt verlagerten Ermittlungshandlungen nunmehr dem polizeilichen Wirkungsbereich zuzuordnen und die der Staatsanwaltschaft zugewiesene neue Sachkompetenz inhaltlich gleichzeitig wieder zu entleeren.

[27] c)
Auch Literatur und höchstrichterliche Rechtsprechung gehen ausnahmslos als selbstverständlich von einer wie vorbezeichnet maßgeblichen Tätigkeit der Staatsanwaltschaft in dem durch § 161a StPO konstituierten Vernehmungsbereich aus. In Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien wird in den Kommentierungen zu§ 161a StPO auf die durch diese Vorschrift bewirkte Verstärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft abgehoben, die Bedeutung staatsanwaltschaftlicher Eigenvernehmungen betont und dazu etwa ausgeführt, besonders wertvoll erscheine die Eigenvernehmung dabei zum einen durch die Möglichkeit direkter Rückfragen an den Zeugen, zum anderen durch den unmittelbaren Eindruck, den der Staatsanwalt sich dabei verschaffen könne (Erb in LR StPO, 26. Aufl., § 161 a Rn. 1 bis 3; im gleichen Sinne Plöd in KMR StPO, § 161 a Rn. 3; Wohlers in SK StPO, § 161 a Rn. 18; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 161 a Rn. 3). Nichts anderes gilt für die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Auch der Bundesgerichtshof geht mit Beschluss vom 29. April 1987 von einer Vernehmung des nach§ 161a Abs. 1 StPO geladenen Zeugen durch den ladenden Staatsanwalt selbst aus (BGHR, StPO, § 161a, Ausbleiben 1, Ordnungsgeld).

[28] d)
Nach allem ist evident, dass die im vorliegenden Fall praktizierte Vernehmungsweise den gesetzlichen Vorgaben des§ 161a StPO nicht entsprach, diesen vielmehr geradezu zuwiderlief. Es fehlte mithin an einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung im Sinne der vorgenannten Vorschrift; vielmehr lag jedenfalls bezüglich der Vernehmung des Zeugen zur Sache eine bloße polizeiliche Vernehmung vor. Auf polizeiliche Vernehmungen finden indes die §§ 161a Abs. 2 S. 1, 70 Abs. 2 StPO wie ausgeführt keine Anwendung, so dass es an den Voraussetzungen für die Anordnung von Beugehaft nach § 70 Abs. 2 StPO bereits aus diesem Grunde fehlte und die Beugehaft nicht angeordnet werden durfte.

[29] Die weitere Beschwerde erweist sich folglich als begründet.

Rechtsfolgen

In meinem bayerischen Beispiel handelte es sich also nicht um eine staatsanwaltliche Vernehmung, daher war die zwangsweise Vorführung unrechtmäßig. Man könnte auch böse von einer Freiheitsberaubung von einer bewaffneten Gruppe sprechen.

Bevor man eine Strafanzeige erstattet, sollte man sich aber den statistischen Werdegang solcher Anzeigen bewußt machen.

Hilfreich wäre dagegen, Fachaufsichtsbeschwerde einzulegen. Diese ist bei den Staatsanwaltschaften nicht unbedingt beliebt. Es entscheidet die Generalstaatsanwaltschhaft und nicht der direkte Vorgesetzte.

Achtung: Geplante Rechtsänderung

Die derzeit geplante „Reform der StPO zur Beschleunigung der Verurteilung“ sieht vor, dass zukünftig in bestimmten Fällen eine Erscheinenspflicht der Zeugen bei der Polizei bestehen soll.


 

  1. OLG Hamburg, Beschluss vom 17.07.2009 – 2 Ws 95/09 = NStZ 2010, 716 = StraFo 2009, 465.
  2. Artkämper/Schilling, Vernehmungen – Taktik Psychologie Recht, 3. Auflage  2014, S. 77 f.; AnwK-StPO/Walter, 2. Auflage 2010, § 161a Rn. 32.

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