Die Anklageschrift als Papier-Glaskugel
Die Justiz in Bayern ist ja immer für einen Lacher gut. Kürzlich erreichte mich eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Ingolstadt, die sich in den wesentlichen Ergebnissen der Ermittlungen auf Ermittlungsergebnisse stützt, die Sie in baldiger Zukunft hoffte gewinnen zu können. Dort heißt es:
Die DNA des Angeschuldigten konnte auch an den Tatorten in B. aufgefunden werden. Der dort Tatbeteiligte H. wird am [Datum in naher Zukunft] zu einer staatsanwaltschaftlichen Zeugenvernehmung vorgeführt. Das Ergebnis der Vernehmung wird umgehend nachgereicht.
Vorweg, eine DNA-Spur am Tatort, korrekt hier in Tatortnähe, kann immer nur ein Indiz und kein Beweis sein, da stets zu Prüfen sein wird, wann und wie die DNA-Spur an den Tatort bzw. in dessen Nähe gelangt ist.
Unterirdisch ist aber der Bezug auf eine noch durchzuführende Zeugenvernehmung.
Anklageerhebung bei »hinreichenden Tatverdacht«
Nach § 170 abs. 1 StPO erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage, wenn (und nur wenn) die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der Anklage geben.
Naja, das ist typisch Juristendeutsch und nichtssagend. Klar ist aber schon aufgrund der Wortlauts, dass der Anlass aufgrund der bisher durchgeführten Ermittlungen gegeben sein muss.
Die Leerfloskel des »genügenden Anlasses« erklären die Gerichte durch den ebenso inhaltsfreien Begriff des »hinreichenden Tatverdachts« der sich als Voraussetzung für die Eröffnung des Hauptverfahrens aus § 203 StPO ergibt.
Jedenfalls sind nach der Rechtsprechung Feststellungen von Tatsachen erforderlich, die nach praktischer Erfahrung zu einer Verurteilung führen werden.1
Die reine Hoffnung, in naher Zukunft belastende Beweise zu erhalten, ist jedenfalls ungenügend.
Grundkenntnisse im Strafrecht wären wünschenswert
Das OLG München hat ja kürzlich festgestellt, dass den Strafrichtern keine Rechtskenntnisse unterstellt werden dürfen.2
Aufgrund des kostenintensiven Ausbildung der Richter im Studium auf Kosten der Steuerzahler wäre ein Anspruch auf gewisse Mindestkenntnisse durchaus wünschenswert. Das gilt freilich auch für Staatsanwälte.
- BGH, NJW 1970, 1543; 2000, 2672.
- OLG München, Beschluss vom 4. Juni 2014 – 3 Ws 656 657/13Kl, StraFo 2014, 422.
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
In Bayern gibt es halt keine Gewaltenteilung. Das kennt man doch. Leider geht man damit verlogen um. Die StA erhebt Anklage und diese Anklagen, seien sie noch so hahnebüchen, werden im Regelfall von den Gerichten zugelassen. Falls ein Landgericht dann mal tatsächlich eine Anklage nicht zulässt, weil sie zu unterirdisch ist, dann bessert eben das OLG auf die Beschwerde der StA nach. So lernen die Staatsanwaltschaften in Bayern, dass sie mit jeder Anklage durchkommen.
Prof. Schünemann nennt das den Schulterschlusseffekt, da Richter und Staatsanwälte aus einem „Stall“ kommen und immer wieder zwischen den Ämtern wechseln. Das ist nicht in allen Bundesländern so ist sicherlich nicht ideal. Die Strafverteidiger monieren dass immer wieder.
Es scheint ein methodischer Fehler der Arbeitshypothese vorzuliegen. M.E. ist entscheidend, dass die (durch einen Beurteilungsspielraum begünstigte) Entscheidung der StA in 170 I StPO zwar „prognostisch“ sein darf, diese Prognose jedoch auf „den Ermittlungen“ gründet. Was ermittelt wurde, muss in die Akte, sodass sich (wenn die Ermittlungsakte einen Sinn haben soll) der Stand der Ermittlungen gerade aus dem Akteninhalt ergibt. Eine Prognose über den Inhalt der Akte mit einer Prognose einer noch durchzuführenden Vernehmung zu legitimieren, ist daher tatsächlich in sich unstimmig.